Dieser Artikel wurde zuerst von Dana Valentiner und Maximilian Petras auf www.juwiss.de veröffentlicht. Die Uniflure sind leer, die Seminar- und Konferenzräume bleiben abgeschlossen. Wir stecken in einem weiteren Wintersemester ohne Pausengespräche und Theorien, die bei einem Bier gesponnen werden. Zoom Fatigue macht sich breit: Die Müdigkeit nach einer Interaktion mit einer Wand aus Spiegeln, immer auf die eigene Performance im Austausch mit der Webcam bedacht. Und wir müssen vorerst noch durchhalten. Das geht besser, wenn wir die Zoom-Sessions verkürzen und uns auf das konzentrieren, was die Rechtswissenschaft ausmacht: die Diskussion und Verknüpfung unserer Texte. Das wollen wir bei OpenRewi mit unseren aktuellen Projekten zu den Grundrechten, im Straf- und Migrationsrecht machen.
Anstatt wie früher im stillen Kämmerlein unsere eigenen Werke zu schreiben und unter dem Schutz des Urheberrechts in die Welt hinaus zu schicken, wollen wir bei OpenRewi gemeinsam „Open Educational Resources“ (OER) erstellen. Das sind Materialien, die für die folgenden fünf Verwendungszwecke offen gestaltet sind:
- Vervielfältigen: Das Recht, Kopien des Inhaltes anzufertigen und uneingeschränkt zu besitzen.
- Verwenden: Das Recht, die Inhalte in jedem beliebigen Kontext zu verwenden.
- Verarbeiten: Das Recht, den Inhalt zu bearbeiten.
- Vermischen: Das Recht, den Inhalt oder Teile des Inhaltes mit neuen Inhalten zu kombinieren und daraus etwas Neues zu schaffen.
- Verbreiten: Das Recht, den Inhalt der Öffentlichkeit zur freien Verfügung zu stellen.
Nach Empfehlung der UNESCO werden diese Rechte durch freie Lizenzen garantiert. Üblicherweise sind das die Creative Commons Lizenzen, mit denen die Lizenzgeber:innen allen Nutzenden unterschiedliche Freiheitsgrade der Weiternutzung einräumen können. Bei OpenRewi verwenden wir die CC-BY-SA Lizenz. Danach kann jede Person die oben genannten Freiheiten ausüben, solange sie die Autor:innen nennt und die verwendeten oder erstellten Materialien ebenso frei zugänglich zur Verfügung stellt.
Schreiben wollen wir auf der altehrwürdigen Plattform Wikibooks, wo auch Nikolas Eisentrauts Bücher zum Verwaltungsrecht zu finden sind. Wikibooks ist eine Schwester der berühmten Wikipedia. Ein „Buch“ sind dort aufeinander verweisende Wikiseiten („Kapitel“), die in der Wikipedia für sich stehen und einen Begriff (wie die Blume) erklären würden. Letztendlich bleibt Wikibooks ein „Wiki“ und es gelten dieselben Prinzipien: Alle können mitschreiben, alle können diskutieren, die Geschichte eines Dokuments ist bis auf das letzte Leerzeichen in der Versionsgeschichte einsehbar. Erst wenn die Materialien hier geschrieben, lebhaft diskutiert und verbessert worden sind, kommen sie als kostenlose, frei zugängliche Veröffentlichung (Open Access) in einen klassischen Verlag und werden kurzzeitig zum Buch. Das lebende, digitale Dokument auf Wikibooks verschwindet damit nicht, die Arbeit läuft mit jedem Semester und jedem Examensdurchgang weiter – ohne dass jedes Mal das Rad neu erfunden werden muss.
Recht und Technik sind schnell erklärt. Viel wichtiger ist die dahinterstehende Kultur des Teilens. Im Jurastudium werden wir darauf trainiert, alleine Klausuren oder Hausarbeiten zu schreiben. Auch als wissenschaftliche Mitarbeiter:innen erstellen wir regelmäßig unsere eigenen Materialien für Lehrveranstaltungen. Natürlich gibt es auch hier gemeinsames Arbeiten, Feedback oder geteiltes Wissen. Es ist aber weder institutionell verankert noch strukturell nachhaltig und beschränkt sich häufig auf das engere Umfeld (Kolleg:innen, Freund:innen, Lehrstuhl, …).
In der Welt der Commons, zu der auch OER gehören, gelten andere Regeln, die andere Gewohnheiten, evtl. sogar andere Begriffe benötigen. Wenn etwas erstellt wird, wird es mit anderen geteilt, hinterfragt und weiterentwickelt. Daraus können unerwartete Dinge erwachsen: 2,5 Millionen Artikel in der deutschsprachigen Wikpedia, ein die Supercomputer der Welt befeuerndes komplett freies Betriebssystem, bezahlbare Häuser zum Selberbauen oder Saatgut als Gemeingut.
Wir wollen diese neue Art der Ko-Produktion auch in der Rechtswissenschaft voranbringen. Bei OpenRewi wird im Team geschrieben, um von der Perspektive der anderen zu lernen. Dabei ist nicht das Produkt, sondern der Prozess das Ziel. Die Ko-Produktion und der gemeinsame Austausch enden nicht mit einem vorläufig „fertigen“ Text. Die Texte sollen von so vielen Menschen wie möglich vervielfältigt, verwendet, verarbeitet, vermischt und verbreitet werden.
Mit OER wollen wir auch Hierarchien in der Produktion von Wissen über Recht in Frage stellen. Wichtig ist, dass sich Teammitglieder mit unterschiedlichen Perspektiven, Zugängen und Ansätzen einbringen können. Deshalb haben wir auch eine (Geschlechter-)Quote für die Zusammensetzung unserer Teams. Die ersten beiden Projektteams richten sich an wissenschaftliche Mitarbeiter:innen. Langfristig wollen wir aber auch Praktiker:innen oder andere Lehrende als Autor:innen gewinnen. Welcher Grad der Erfahrung und Expertise notwendig ist, wird dezentral in jedem Projektteam entschieden.
Wir möchten auch möglichst viele Studierende aktiv einbinden. Unsere offenen Lehrmaterialien sollen eine Möglichkeit bieten, ohne Investition in teure Lehrbücher mit frei zugänglichen Texten zu lernen. Mit OER lassen sich auch Konzepte offener Pädagogik umsetzen. Studierende können Lehrbuchinhalte oder Fälle aktiv hinterfragen, verbessern und ihre eigene Perspektive einbringen. Um die Hürden der studentischen Textkritik zu senken, wollen wir die Fälle in unseren eigenen Arbeitsgemeinschaften benutzen und zur Mitarbeit ermuntern.
Weil all das ungewohnt ist, wollen wir bei OpenRewi gemeinsam die ersten Erfahrungen sammeln und uns in einer Community gegenseitig unterstützen.
Hier kannst Du dich bis zum 08.12.20 für unser Projekt zu den Grundrechten bewerben.
Hier findest Du bis zum 15.12.20 die Bewerbung für ein Projekt im Strafrecht.
Hier findest Du bis zum 08.01.21 die Bewerbung für ein Projekt im Migrationsrecht.