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Die Initiative für offene Rechtswissenschaft (OpenRewi) sucht Rechtswissenschaftler:innen, die an einem privatrechtlichen Lehrbuch (primär) für Studienanfänger:innen zum Vertragsrecht mitarbeiten möchten. Die Ausschreibung läuft bis zum 15.6.2025.
Worum geht es?
Studierende lernen das Privatrecht an nahezu allen Universitäten in Deutschland mit Lehrveranstaltungen zum Allgemeinen Teil des BGB kennen. An Lehrbüchern und Skripten dazu mangelt es nicht. Wir identifizieren jedoch einige Lücken des derzeitigen Lehrbuchangebots, die wir mit dem OpenRewi Lehrbuch „Vertragsrecht I“ schließen wollen.
Die meisten privatrechtlichen Lehrbücher für Studienanfänger:innen beschränken sich inhaltlich auf das erste Buch des BGB. Das Privatrecht zeichnet sich jedoch gerade dadurch aus, dass die Rechtsinstitute der einzelnen Bücher stark miteinander verwoben sind, indem z.B. auf andere Regelungen verwiesen wird, Maßstäbe modifiziert werden oder sich etablierte Dogmatiken erst im Hinblick auf andere Anspruchsgrundlagen o.ä. erklären lassen (intradisziplinäre Vernetzung von Wissensbeständen).
Daher trägt dieses Lehrbuch den Titel „Vertragsrecht I“: Wir wollen uns nicht nur auf die Vermittlung von Wissen aus dem BGB AT beschränken, sondern anhand ausgewählter Teilgebiete des Privatrechts Grundstrukturen des Vertragsrechts abdecken.
Juristische Lehrbücher differenzieren selten zwischen unterschiedlichen Ebenen von Wissensbeständen, sondern geben Verständnis für das System, Definitionen, Urteilsleitsätze und etablierte Dogmatiken in einem abstrakten Text wieder. Dies entspricht jedoch nicht der Art, wie dieses juristische Wissen in einer Klausur abgeprüft wird. Hier werden die Studierenden vor die Herausforderung gestellt, das gelernte Wissen fallspezifisch zur Lösung eines Sachverhalts einzusetzen.
Wir wollen daher die unterschiedlichen Arten von juristischen Wissensbeständen offenlegen und vermitteln, in welcher Form sie jeweils in einer Klausur „untergebracht“ werden können oder sollten. Vorläufig schlagen wir folgende vier Ebenen vor: (1.) Systemverständnis, (2.) etablierte Dogmatiken und Definitionen, (3.) Telos und Funktion einzelner Rechtsinstitute und (4.) konkrete Formulierungs- und Aufbauhinweise, die sich daran orientieren, was in der Klausurpraxis „üblich“ ist.
Klassische Lehrbücher schaffen es nur bedingt, den Studierenden beizubringen, wie sie in einer Klausur einen überzeugenden und fallspezifischen Prüfungsaufbau wählen und sich herleiten können. Die abstrakte Vermittlung des Rechtsstoffes kann dazu verleiten, dass Prüfungsschemata auswendig gelernt werden. Die Herausforderung in privatrechtlichen Klausuren besteht aber wegen des Ineinandergreifens der Rechtsinstitute häufig darin, dass sich die Stelle, an der z.B. die Anfechtung geprüft wird, von Fall zu Fall unterscheidet. Die Vermittlung von vernetztem Wissen und der überzeugenden Darstellung in einer Klausur gelingt, wenn ein Lehrbuch konsequent von den Rechtsfolgen eines Rechtsinstituts oder einer spezifischen Norm ausgeht.
Auch etablierte Lehrbücher setzen auf Fallbeispiele, um die abstrakten Regelungen anschaulicher zu machen. Oft werden dabei aber Sachverhalte gebildet, die aus heutiger Sicht „veraltet“ erscheinen, weil sie sich am Originalsachverhalt eines historischen Urteils orientieren. Vor dem Hintergrund, dass Studienanfänger:innen mit den Fällen aus dem ersten Semester sozialisiert werden und diese den ersten Eindruck davon vermitteln, was Recht sowie Rechtswissenschaft sind, wollen wir konsequent mit modernen und diskriminierungssensiblen (Fall-)Beispielen arbeiten.
Folgende Themen bieten sich für das Lehrbuch „Vertragsrecht I“ an:
- Zustandekommen und Wirksamkeit von Verträgen
- Wie wird ein Vertrag geschlossen (z.B. Willenserklärungen, Angebot und Annahme, Widerruf, AGG)?
- Wie gehen Willenserklärungen zu?
- Welche Besonderheiten gibt es beim Vertragsschluss von Minderjährigen?
- Welche Besonderheiten gibt es beim Vertragsschluss mit Stellvertreter:innen?
- Was ist das Trennungs- und Abstraktionsprinzip?
- Nichtigkeit von Verträgen
- Wie können Verträge angefochten werden?
- Wann sind Verträge nichtig nach §§ 134, 138 BGB?
- Unmöglichkeit
- Wann ist die Leistung wegen Unmöglichkeit ausgeschlossen?
- Primäre Rechtsfolgen von Verträgen
- Welche Art von Erfüllung ist geschuldet (Abgrenzung verschiedener Vertragstypen)?
- Welche atypischen Verträge gibt es?
- Störungen im Schuldverhältnis
- Wie können Verträge rückabgewickelt werden (z.B. Grundzüge des Bereicherungsrechts, Rücktritt, verbraucherrechtlicher Widerruf, Störung der Geschäftsgrundlage)?
- Welche besonderen Leistungsstörungsrechte (z.B. aus Kauf, Miete, AGG) gibt es?
- Erlöschen von Leistungspflichten
- Wann erlischt die vertragliche Leistungspflicht (insb. durch Erfüllung und Aufrechnung)?
Für darüber hinausgehende Themenvorschläge oder spannende Fragen aus dem Bereich des Vertragsrechts, für die du dich begeistern kannst, sind wir offen. Dies gilt insbesondere für das besondere Schuldrecht, das nur beispielhaft behandelt werden soll und daher ganz besonders von der Initiative einzelner Autor:innen profitiert.
Wie gehen wir vor?
Das Buch ist in verschiedene Kapitel aufgeteilt, sowohl Einzel- als auch Co-Autor:innenschaft ist möglich. Insbesondere möchten wir auch interessierte Personen mit besonders eingeschränkten Zeitressourcen (z.B. aufgrund von Care-Arbeit) ermutigen, uns zu kontaktieren, damit wir gemeinsam einen Weg finden können, wie du am Projekt mitwirken kannst. Gerne möchten wir auf deine sozialen und zeitlichen Ressourcen und sonstige Barrieren Rücksicht nehmen.
Nach der Bewerbungsphase werden die Kapitel aufgeteilt und in einer ersten Schreibphase (bis voraussichtlich Herbst 2025) erarbeitet. Im Anschluss folgt ein Peer-Review-Verfahren mit weiterer Überarbeitung. Wir streben eine Veröffentlichung zum Wintersemester 2026/2027 an.
Klingt gut? Dann melde dich bei uns!
Du begeisterst dich für das Zivilrecht? Promovierst oder habilitierst in diesem Bereich oder hast durch die Leitung von Arbeitsgemeinschaften/Seminaren erste Erfahrungen in der Lehre gesammelt? Wir suchen Rechtswissenschaftler:innen am Anfang ihrer (akademischen) Karriere, die das Projekt mit ihren Erfahrungen und ihrem Elan bereichern.
Im Einklang mit dem OpenRewi Diversity Statement ist es unser Ziel, dass sich Menschen als Autor:innen und/oder Herausgeber:innen beteiligen, die sich nicht als Teil der weißen Dominanzgesellschaft verstehen, BIPoC, Menschen aus dem globalen Süden, Menschen mit Behinderungen, Erstakademiker:innen, queere Menschen und Menschen aus anderen Gruppen, die im Wissenschaftsbetrieb noch unterrepräsentiert sind. Bei unseren Autor:innen- und Herausgeber:innenteams gilt die Vorgabe einer FLINTA* Quote von 50 % und wir streben auch darüber hinaus eine größtmögliche Diversität an.
Die Mitarbeit am Lehrbuch bietet die Möglichkeit,
- in einem motivierten Team am ersten zivilrechtlichen Projekt von OpenRewi mitzuarbeiten
- eure Klausur- und Lehrerfahrung einzubringen und weiterzutragen
- (erste) Veröffentlichungserfahrungen zu sammeln
- durch eine offen lizensierte Publikation einen offenen Wissenszugang für Studierende zu ermöglichen
- Kontakt zu Kolleg:innen zu knüpfen und von deren Perspektiven zu profitieren
Gerne stellen wir dir das Projekt bei einem Online-Treffen am 10.6.2025 um 18 Uhr auch persönlich vor. Du erreichst das Treffen unter folgendem Link: https://law-school.zoom.us/j/61158436804?pwd=ayKzagraPmFYZhixWgetWSYfn1SgEv.1
Bei Rückfragen zum Projekt melde dich gern (vertragsrecht@openrewi.org). Wir freuen uns auf deine Bewerbung!
André Reinelt & Susanna Roßbach